Telefone von Alexander Graham Bell

Die Beurteilung des Telephons von Reis in der Entscheidung über die

Bell – Telephon – Prozesse.

 

            Wie in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift berichtet wurde, haben die Streitigkeiten über die Gültigkeit des Bell´schen Patentes ihren vorläufigen Abschluss gefunden, indem besonders der fünfte Anspruch des Patentes aufrecht erhalten worden ist.

            In der Entscheidung des Gerichtshofes finden sich unter einer besonderen Überschrift: >> Bell´s method not in Reis´ apparatus << Behauptungen vor, welche das Erstaunen und den lebhaften Widerspruch Aller hervorrufen müssen, denen die Wirksamkeit des Telephons von Reis bekannt ist.

            So wird z.B. in dem Erkenntnisse gesagt, dass es Reis nicht gelungen sei, mittels seines Instrumentes gesprochene Laute zu übermitteln; dieser Misserfolg sei darin begründet, dass Reis nie daran gedacht habe, mit allmählich abnehmenden und ansteigenden Strömen zu arbeiten. Die Anwendung dieser Ströme zur telegraphischen Übermittelung der Sprache sei ein Entdeckung von Bell – der Unterschied Zwischen der Tätigkeit des letzteren unter von Reis sei genau derjenige zwischen Erfolg und Misserfolg.

            Dem Andenken des toten deutschen Forschers sind wir es schuldig, solche nicht zum ersten Male aufgestellten Sätze auf ihren wirklichen Wert zurückzuführen.

            Wenngleich durch eine derartige Ausführung etwas Neues nicht geliefert werden kann, so fordert doch die Beurteilung der Tätigkeit von Reis in der Entscheidung des amerikanischen Gerichtshofes, deren Wortlaut mehr oder weniger ausführlich in allen größeren Zeitschriften des In- und Auslandes veröffentlicht wurde, die abermalige Betonung der Ansprüche und Verdienste des fleißigen und rastlosen Forschers vom rein wissenschaftlichen Standpunkt aus.

            Zu diesem Zwecke müssen wir etwas näher auf die Entscheidung bezw. Auf den Eingangs genannten Abschnitt derselben eingehen.

            Der erwähnte fünfte Anspruch in Bell´s Patent vom 7. März 1876 lautet zunächst wörtlich:

            >> Die Methode und der Apparat zur telegraphischen Übertragung von Lauten, welche durch die Stimme hervorgebracht werden oder von anderen Tönen ( vocal or other sounds), wie beschrieben, durch Erregung elektrischer Schwingungen in der Form ähnlich den Luftschwingungen, welche mit besagten Lauten oder anderen Tönen verbunden sind (accompanying the said vocal or other sounds) <<.

            Die >> Methode << bezieht sich, wie das Erkenntnis weiter ausführt, auf die Hervorbringung allmählicher (gradual) Änderungen der Intensität eines elektrischen Stromes, welche Änderungen genau den Änderungen der Dichtigkeit der Luft entsprechen, die durch Lautgebung veranlasst werden.

            Solche Intensitätsänderungen sind möglich durch die >> magneto method <<, d.h. durch Bewegung von Körpern, welche induzierend wirken, auch durch Schwingungen eines Leiters in der Nähe solcher Körper oder durch die >> variable resistance method <<, d.h. durch abwechselnde Vermehrung oder Verminderung des Widerstandes im Stromkreise bezw. In der Batteriestärke.

            Das Patent – so sagt das Erkenntnis weiter – gilt für beide Methoden und speziell für den >> magneto apparatus <<, in welchem ein Elektromagnet verwendet ist.

            Hieraus geht hervor, dass der Gerichtshof den Ansprüchen Bell´s bezügliche der Hervorbringung von undulierenden Strömen eine sehr weite Ausdehnung gibt, innerhalb deren Bereich auch die Tätigkeit des Mikrophons im primären Kreise fällt, aber gerade die als >>variable resistance method << bezeichnete Methode ist es, welche wir für den Apparat von Reis unbedingt in Anspruch nehmen.

            In Betreff des Apparates von Reis sagt dann das Erkenntnis:

            >> Reis entdeckte, wie man musikalische Töne wiedergeben kann, aber mehr nicht. Er konnte mittels seines Telephons singen, aber nicht sprechen. Vom Anfang bis zu Ende habe er dies zugegeben. Er sage selbst, dass es ihm nicht gelungen sei, gesprochene Laute mit genügender Deutlichkeit für Jedermann wiederzugeben. Er spreche nur davon, dass er mit Erfolg die Töne verschiedener Instrumente und sogar bis zu einem gewissen Grade die menschliche Stimme wiedergeben könne.<<

            Die vorstehenden Behauptungen des Erkenntnisses bezüglich der Art und der Wirkung der Ströme führen dazu, uns folgende drei Fragen vorzulegen:

1.      Wird durch den Apparat von Reis ein kontinuierlicher Strom in Undulationen versetzt?

2.      Hat Reis die Absicht gehabt, nur Töne zu übertragen oder auch gesprochene Laute?

3.      Ist es möglich, mit dem Apparat von Reis die Sprache zu übertragen?

 

Muss die erste Frage bejaht werden, so fällt damit tatsächlich die wesentlichste Bedeutung der Ansprüche von Bell – denn Bell hat ja, wie die Entscheidung besagt, gefunden, dass der richtige Weg sei, mit einem ununterbrochenen (unbroken) Strom durch Änderungen seiner Intensität zu operieren.

            Es ist bekannt, dass Reis bei seiner Einrichtung einen beständig die Leitung durchfließenden Strom anwendete, die Konstruktion des Gebers ist ferner derartig, dass gerade nach derjenigen einen Methode, welche Bell zugesprochen wird – durch Änderungen des Widerstandes im Stromkreise – Undulationen des Stromes hervorgerufen werden.

            Bei dem Geber von Reis drückt ein metallener Hebel mit einem Platinkontakt vermöge seines Gewichtes auf eine in der Mitte der Membran befindliche Kontaktfläche, und es kann doch wohl nicht zweifelhaft sein, dass, wenn die Membran in Folge eines an der unteren Fläche derselben ausgeübten wechselnden Druckes in Schwingungen gerät, ein ähnliches Verhältnis eintritt, wie z.B. bei dem Mikrophon von Berliner, in welchem ein Kohlenkontakt vermöge seines Gewichtes gegen einen Kontakt der Membran anliegt.

            Zugegeben sind Fälle, in denen das besagte Verhältnis nicht eintreten kann, d.h. Fälle, in denen der Kontakt tatsächlich die Rolle des Stromunterbrechers spielt. Solches hängt nicht allein von der Einstellung (Spannung) der Membran ab, sondern auch von der Weite der Schwingungen bezw. der Stärke der Lautgebung.

            Dass der Kontakt aber unter bestimmten Umständen Stromundulationen zur Folge hat, und dass dies notwendig ist, wenn der Apparat gut und richtig funktionieren soll, geht aus dem Umstande hervor, dass man mit dem Geber von Reis und einem Bell – Empfänger arbeiten kann.

            Wenn überhaupt Töne und Melodien richtig zur Übertragung gelangen sollen, so müssen undulierende und nicht intermittierende Ströme erzeugt werden.

            Die Entscheidung besagt, dass erst Bell die Notwendigkeit erkannt habe, mit entsprechenden Stromundulationen zu arbeiten, Reis habe hieran nicht gedacht. Es ist richtig, dass Reis den bestimmten physikalischen Begriff eines undulierenden Stromes nicht kennt und dass er vom Öffnen und Schließen des Stromes spricht; er hatte in solcher Beziehung offenbar eine unrichtige Vorstellung von den elektrischen Vorgängen in seinem Geber, wenngleich seine Anschauungen über die Art der Wiedergabe von Tönen zutreffen. Aber dies hat mit der tatsächlichen Wirksamkeit seines Gebers Nichts zu tun; es kommt für das Verdienst des Reis zunächst nicht darauf an, wie er sich den genauen physikalischen Vorgang vorgestellt hat, sondern wie dieser Vorgang wirklich beschaffen ist.

            Ebenso wie bei dem Geber von Reis können in Mikrophonen Unterbrechungen bei stark gehobener Stimme eintreten, und es werden dann die Schwingungen auch nicht mehr genau wiedergegeben. Ändert dies aber etwas an der Tatsache, dass der variable Kontakt Undulationen des Stromes hervorzurufen vermag?

            Die Eigenschaft des Gebers von Reis, Stromundualtionen hervorzurufen, kann nur ein Unkundiger in Abrede stellen. Vom technischen Standpunkt aus kann man die vorausgesetzte, nicht zutreffende Anschauung von Reis über die Vorgänge in seinem Geber nicht zu Hülfe rufen, um die Tatsache zu verneinen, dass dem Reis das Verdienst zusteht, einen Geber mit veränderlichem Widerstande konstruiert zu haben, welcher fähig ist, zur Lautübertragung geeignete Stromundulationen hervorzurufen.

            Reis wollte aber auch >> gesprochene Laute << übermitteln. Schon aus seiner Äußerung, >> dass der Apparat bis zu einer gewissen Ausdehnung die Sprache wiedergebe, ist dies wohl zu folgern, weiter bezeugt solches ausdrücklich ein früherer Schüler von Reis, E. Horkheimer, mit den Worten:

            >> Reis wollte die Sprache übertragen, das war sein Hauptziel ...<<

            Auch in dem den Apparaten beigegebenen Prospekte aus dem Jahre 1863 war von Übertragung der Sprache die Rede. Keinerlei Auslassung von Reis ist bekannt, dass er Übertragung der Sprache nicht beabsichtigte.

            Das eine Übertragung möglich war und mit der letzten Form des Gebers und Empfängers geschehen ist, wird von einer Reihe von Zeitgenossen ausdrücklich anerkannt. Professor Quincke, Dr. Bohn, E. Horkheimer, Musiklehrer Peter, Heinrich Hold bezeugen es.

            Professor Quincke sagt:

            >> Ich hörte deutlich sowohl singen als sprechen. <<

            Dr. C. Bohn (Aschaffenburg):

            >> Es war mit bekannt (1863 – 1864), dass Reis Worte übermitteln wollte, und zwar ebenso wohl gesprochene als gesungene Worte ...

            Gesungene Worte, gut akzentuiert und intoniert, wurden etwas besser verstanden, als wenn dieselben in gewöhnlicher Art gesprochen waren. <<

            Dr. Bohn erwähnt ferner eines Knaben (Ihering), den man vermöge seines scharfen norddeutschen Dialektes habe besser verstehen können.

            In neuerer Zeit hat Hofrat Dr. Stein zu Frankfurt (Main), ein Mitarbeiter des Reis an seinen Versuchen, die Tatsache der Übertragung einzelner Worte mittels des Gebers und Empfängers von Reis ebenfalls wiederholt anerkannt.

            Mit einem Reis – Empfänger spricht, wie der Anwalt Ingersoll ausführte, der Reis – Geber, aber besser spricht der letztere mit einem Bell – Empfänger; jedenfalls spricht also der Geber, denn es kann doch nur wieder das hervorgebracht werden, was im Geber erzeugt war.

            Die Behauptung in der Entscheidung:

            >> er konnte singen durch sein Telephon, aber nicht sprechen. Von Anfang bis zu Ende hat er dies zugegeben <<

entspricht demnach in ihrer allgemeinen Fassung in keinem Teile den Tatsachen.

            Wenn die Entscheidung zugibt, dass es sich wesentlich um die Gestaltung des Stromes handelt und nicht um einen spezifischen Apparat, so ist dies genügend, um zunächst die erste tatsächliche Anwendung der Methode des >> variablen Widerstandes im Stromkreise <<dem Reis zuzusprechen.

            Damit ist keineswegs eine Herabsetzung der großen Verdienste von Bell beabsichtigt; die Methode, durch Induktionswirkungen in der bekannten Weise undulierende Ströme zu erzeugen, bleibt ihm unbestritten, ebenso das Verdienst, die Bedingungen der Stromgestaltung genauer erkannt und bei Ausbildung der Apparate benutzt zu haben.

            Aber für Philipp Reis müssen wir ebenso das unbestreitbare Verdienst in Anspruch nehmen, durch Hervorbringung entsprechender undulierender Ströme – welche e, soweit seine mündlichen und schriftlichen Auslassungen zu erkennen geben, irrig als intermittierende ansah – die Möglichkeit der Übertragung der Sprache zuerst praktisch erwiesen zu haben.

            Der Erfolg, der Reis unablässigen Forschungen in wenigen Jahren zu Teil ward, berechtigt uns zu dem Schlusse, dass die Fortsetzung seiner fleißigen Arbeit zu demselben Ergebnisse geführt haben würde, wie Bell es erzielt hat, aber nicht allein bittere Entmutigung, die seinem Streben wurde, sondern auch unheilbares körperliches Leiden führten dazu, dass er mit dem Studium seiner Erfindung abschloss.

            Er habe der Welt den Weg zu einer großen Erfindung gezeigt, die weiter zu entwickeln er jetzt Anderen überlassen müsse – das war seine prophetische Äußerung – die wenige Jahre später, als er bereits auf dem Friedhofe zu Friedrichsdorf seine letzte Ruhe gefunden hatte, schon vollständig sich bewahrheitet zeigen sollte, aber auch dartut, dass Reis an der praktischen Bedeutung seiner Erfindung festhielt.

            Die Priorität der Erfindung eines für den Verkehr brauchbaren Apparates und das genaue Bewusstsein der Vorgänge bei der Stromgestaltung in seiner Methode mag ihm ein Gerichtshof aberkennen, vor dem Forum der Geschichte der Technik genügen die einfachen und klaren Tatsachen, um Reis als den Erfinder der telephonischen Übermittelung der Sprache für alle Zeiten hinzustellen.

Scientific American Oktober 1877

Zeitungsbericht im Scientific American vom Oktober 1877 über die Bellschen Telephone.

Die erste nach Europa gelangte Veröffentlichung über das Bellsche Telephon.

Grawinkel, ETZ vom Mai 1888.