Stephan erklärt das Fernsprechwesen zum Staatsmonopol

            Stephans Stellungsnahme gegenüber den Konzessionsgesuchen privater Unternehmer zur Errichtung und zum Betriebe von Fernsprechanlagen war durchweg von der verschieden, die die Telgraphenverwaltungen der übrigen Länder Europas damals beobachteten. Sie ließen nämlich sämtlich die Privatfernsprechgesellschaften zunächst bei sich aufkommen und führten erst später, u. U. erst nach einer Reihe von Jahren, eine Entscheidung der grundsätzlichen Frage herbei, in welchem Umfange der Bau und Betrieb von Fernsprechanlagen als ein Regal des Staates zu gelten habe. Diese verzögerte Entschließung hing zum Teil damit zusammen, dass die fremden Telegraphenverwaltungen die Bedeutung des Fernsprechers für den allgemeinen Nachrichtenverkehr nicht sogleich hinreichend erkannt hatten. Sie wollten zunächst weitere Erfahrungen abwarten, bevor sie die Staatskasse mit Ausgaben für die Einführung einer solchen Neuerung belasteten. In der Mehrzahl dieser Länder zeigte sich nun bald, dass die Privatgesellschaften die Errichtung von Fernsprechanlagen nur da betrieben, wo sich für sie hieraus geldliche Vorteile ergaben, d. h. sie begünstigten die großen Städte und ließen die übrigen Orte, deren Verkehr ihnen nicht angemessene Einnahmen versprach, unberücksichtigt. Auch das Vorhandensein verschiedener Privatgesellschaften innerhalb eines Landes, die infolgedessen untereinander in Wettbewerb traten, änderte hieran wenig. Zudem verringerte sich in solchen Fällen ihre Zahl sehr bald: die geldlich schwächeren gingen kurz über lang in den größeren freiwillig oder unfreiwillig auf. Demnächst verschmolzen sich auch diese miteinander, so dass schließlich eine Gesellschaft das Feld allein behauptete – zum großen Nachteile für die Gesamtheit des Publikums, dem damit teilweise die Benutzung von Fernsprechanlagen überhaupt verschlossen blieb und das sich im übrigen der Monopolwirtschaft der Privatgesellschaft auch hinsichtlich der wichtigen Gebührenfrage bedingungslos unterwerfen musste.

            Diesen Weg nahm der Werdegang des Fernsprechwesens auch in dem freien England. Schon einmal, mehrere Jahrzehnte zuvor, hatte man dort die übelsten Erfahrungen mit der Überlassung des Telegraphenwesens an Privatgesellschaften gemacht und war deshalb schließlich 1868/69 genötigt gewesen, die seit 1846 im Lande entstandenen privaten Telegraphenanlagen zu verstaatlichen, wofür naturgemäß den Telegraphengesellschaften eine bedeutende Abfindungssumme gewährt werden musste. Nunmehr wiederholte sich derselbe Vorgang beim Fernsprechwesen. Hier hatte sich allmählich eine Privatfernsprechgesellschaft, die National Telephone Co., durch Kauf und Fusion in den Besitz aller privaten Fernsprechanlagen im Lande gebracht. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dieser auf die Erzielung hoher Gewinne eingestellten Privatgesellschaft wuchs von Jahr zu Jahr. Schließlich ließ sich eine Verstaatlichung ihrer Fernsprechnetze nicht mehr vermeiden. Ein gleicher Schritt blieb auch anderen Ländern nicht erspart. Je nachdem inzwischen seit der Zulassung privater Fernsprechgesellschaften ein mehr oder weniger großer Zeitraum verstrichen war, wurden die mit dem Ankauf ihrer Anlagen für den Staat verknüpften Opfer dementsprechend schwer. Die höchste Abfindungssumme zahlte dabei England mit 12 ½ Millionen Ł oder ¼ Milliarde Mark. Als dieser Kauf nach langwierigen Verhandlungen im Jahre 1911 abgeschlossen wurde, besaß England 652 000 Sprechstellen. Davon gehörten rund 526.000 der National Telephone Co. (Den Rest bildeten in der Hauptsache Sprechstellen in staatlichen Netzen, mit deren Bau die Post= und Telegraphenverwaltung allmählich selbst vorgegangen war). Deutschland besaß demgegenüber damals schon 1.155.000 Sprechstellen, also nahezu die doppelte Zahl. Schon hieran läßt sich ungefähr ermessen, in welchem Grade das englische Fernsprechwesen unter der Wirkung einer ganz überwiegend privaten Verwaltung im Vergleich mit dem staatlich betriebenen deutschen Fernsprechwesen zurückgeblieben war, und was anderseits aus dem deutschen Fernsprechwesen in der Hand eines freien Unternehmertums, also auch losgelöst von den staatlichen Post= und Telegrapheneinrichtungen, geworden wäre. Welcher ungeheuren Aufwendungen hätte es außerdem in diesem Falle bedurft, um einen, mangels weiter Voraussicht vielleicht auf Jahrzehnte zugelassenen privatwirtschaftlichen Betrieb des Fernsprechwesens nachträglich durch den Staatsbetrieb zu ersetzen und die Anlagen dann so auszubauen, dass sie, wie auch die für ihre Benutzung erhobenen Gebühren, in Stadt auch die für ihre Benutzung erhobenen Gebühren, in Stadt und Land den Anforderungen des Verkehrs entsprachen! Einen näheren Anhalt für die Höhe der damit für Deutschland verknüpft gewesenen Opfer gewährt der Betrag des Anlagekapitals, das seit Einführung des Fernsprechwesens zur Herstellung und Erweiterung der Fernsprechanlagen aufgewandt worden ist. Dies hatte allein für das Reichs = Postgebiet, Bayern und Württemberg also nicht mit einbegriffen, 767 Millionen Mark bis Ende März 1911 betragen. Inzwischen ist es auf mehr als 800 Millionen Mark gestiegen. Zu den schweren Nachteilen, die die Überlassung des Fernsprechwesens an Erwerbsgesellschaften für den Reichsfiskus, die Steuerzahler und das Publikum überhaupt im Gefolge gehabt hätte, wäre aber nicht zuletzt noch der hinzugekommen, dass der Betrieb der Fernsprechanlagen durch Privatpersonen, womöglich Ausländer, schon in Zeiten politischer Erregung eine Gefahr für das Gemeinwohl und die Interessen des Vaterlandes bedeutet hätte. Um wie viel größer diese Gefahr erst bei Ausbruch eines Krieges für Deutschland geworden wäre, und welcher außerordentlichen Maßnahmen es bedurft hätte, um wenigstens den nachteiligsten Folgen daraus zu begegnen, das können wir Deutsche aus den Erfahrungen heraus, die der Weltkrieg bisher gelehrt hat, uns ohne weiteres sagen. Um so mehr haben wir Anlaß, dem Manne dankbar zu sein, der uns alle diese schweren Lasten erspart hat, indem er von Anfang an unverrückbar und im vollen Gegensatze zu den Trägern der übrigen europäischen Verkehrsverwaltungen einen Weg ging, der allein der richtige war. Im Auslande hat man die Bedeutung dieses staatsmännischen Alters Stephans bald zu würdigen verstanden. Es war ein angesehener Engländer (Dr. Maier aus London),. Der sich auf dem Elektrotechnikerkongreß zu Frankfurt (Main) 1891 also äußerte: „Mein Vorschlag ist, dass der Kongreß folgende Erklärung abgebe: ,Es liegt im Interesse des Gemeinwohls, dass die Telephonnetze in derselben Weise wie die Telegraphennetze von den betreffenden Regierungen als Monopol betrieben werden. Für Sie in Deutschland ist dieser Vorschlag zwecklos. Mit Stolz können Sie darauf hinweisen, dass an der Spitze Ihres Verkehrswesens ein Mann steht, der die Bedeutung des Telephons als eines neuen und wichtigen Verkehrsmittels sofort erkannt hat, und lange bevor ein solcher Gedanke von den Autoritäten irgend eines anderen Staates nur gefasst wurde, das wunderbare neu Instrument als eine dem Telegraphen ebenbürtige Erfindung sofort für den Staat in beschlag nahm und dessen allgemeine Einführung aufs energischste betrieb.

            Noch in demselben Jahre, wo dieser sachkundige Vertreter unserer lieben Vettern sich in solchen Lobsprüchen auf Stephan und dessen praktische Stellungsnahme zur Frage des Fernsprechregals erging, setze in Deutschland selbst ein erregter Streit der Meinungen darüber ein, ob man diesen Standpunkt des deutschen Generalpostmeisters ferner gutheißen könne, oder ob nicht vielmehr gegen einen weiteren Betreib des Telegraphen= und Fernsprechwesens als Staatsmonopol entschieden Front gemacht werden müsse. Diese Kampfstimmung ging, gestützt durch theoretische Abhandlungen einiger Staatsrechtlehrer über das Telegraphenregal des Reichs, vorwiegend von gewissen Kreisen der Großindustrie und des Kapitals sowie von einer Reihe von Kommunen aus, die neuerdings in der Ausübung des Regals eine Benachteiligung des privaten Unternehmergeistes erblickten. Solange die Telegraphie im engeren Sinne in Deutschland noch als Schnellnachrichtenmittel für sich allein bestanden hatte, war für jene Kreise die Frage, ob das Reich das Telegraphenregal zu Recht beanspruchte, nicht weiter von Interesse gewesen. Die Ausübung dieses Verkehrsmittels erforderte zudem gut vorgebildetes und eingearbeitetes Personal und war auch sonst mit namhaften Ausgaben verknüpft, da allein schon ein Morseapparat 400 Mark kostete. Ein einfacher Fernsprechapparat ließ sich dagegen bereits für den achtzigsten Teil dieser Kosten beschaffen, und bedienen konnte ihn jedermann. Diese Erkenntnis führte nach der Einrichtung des staatlichen Fernsprechwesens in Deutschland namentlich in kaufmännischen Kreisen allmählich eine mehr aktive Stellungnahme zur Sache herbei. Stephan seinerseits hatte von Anfang an das von ihm erklärte Alleinrecht des Reiches auf das Telegraphen= und Fernsprechwesen aus Artikel 48 der Reichsverfassung hergeleitet, dass das Telegraphenwesen für das gesamte Gebiet des Reiche als einheitliche Staatsverkehrsanstalt eingerichtet und verwaltet werden soll. Hierbei verstand Stephan unter dem Begriff „Telegraphie“ nicht nur die elektrische Telegraphie, sondern den Schnellnachrichtenverkehr in seiner Gesamtheit, also auch einschließlich des Fernsprechwesens. Tatsächlich haftete aber dem Artikel 48 der Verfassung insoweit der Charakter eine Lex imperfecta an, als es an Bestimmungen fehlte, die den Umfang des Regals genauer bezeichneten und Eingriffe in das Regal unter Strafe stellten. Dies hatte mit dem Aufkommen der vorerwähnten Bewegung, deren Wellen gelegentlich bis an die ordentlichen Berichte heranreichten, Urteilssprüche zur Folge, die, wenn auch nur von unteren Instanzen ausgehend, doch hinsichtlich des Bestandes des Monopols eine gewisse Rechtsunsicherheit erzeugten. Mit der wachsenden Ausdehnung des Fernsprechverkehrs mussten solche Einzelurteile, die den angeblichen Rechten des Reiches nicht den notwendigen Schutz gewährten, in der Öffentlichkeit auffallen und dadurch eine schädliche Wirkung auf die Postverwaltung ausüben. Stephan hatte bis dahin absichtlich, um auch nur den Schein zu vermeiden, als ob die Reichsregierung selbst etwa an dem Reichs = Regalcharakter des Telegraphenwesens und dessen abarten Zweifel hegte, von der Einbringung eines Gesetzentwurfes, der sie beseitigte, abgesehen. Nunmehr konnte er nicht länger zögern, das Regal und dessen Umfang gegen jede weitere Anfechtung sicherzustellen. Die wesentlichste Bestimmung des dem Reichstage von den verbündeten Regierungen 1891 vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes über das Telegraphenwesen des Deutschen Reiches lautete (im § 1) dahin, dass das Recht, Telegraphenanlagen herzustellen und zu betreiben, ausschließlich dem Reiche zustünde, und dass unter Telegraphenanlagen die Fernsprechanlagen mit begriffen wären. Die Bekanntgabe dieses unzweideutigen Standpunktes der Reichsregierung über ihre Auffassung von dem Umfange des Telegraphenregals, die lediglich dem vorhandenen tatsächlichen Zustand entsprach, hatte gleichwohl zur Folge, dass in einzelnen Erwerbszweigen der Bevölkerung eine wachsende Unruhe Platz griff. Und obwohl die Reichsregierung weit davon entfernt war, durch ihre Maßnahme der deutschen Industrie Schwierigkeiten oder Nachteile zu bereiten, fühlten sich namentlich Kreise, die der in Entwicklung begriffenen Starkstromindustrie nahestanden, durch die Gesetzesvorlage empfindlich getroffen. Nach ihrer Ansicht bedeutete die Vorlage eine Gefahr für den weiteren Ausbau des jungen Starkstromwesens. Um das, was dabei angeblich auf dem Spiele stand, den Beteiligten möglichst klarzumachen, traten in einer Reihe von Orten Wanderredner auf, die in frei zusammenberufenen Versammlungen, also ganz überwiegend von einem Laienpublikum, die Vorlage in Bausch und Bogen einseitig verurteilten und so aus dem anfänglich nur vorhanden gewesenen Beunruhigungsbazillus, wie Stephan sich im Reichstage launig ausdrückte, ein wohlausgewachsenes Beunruhigungsmegatherium machten. Der Reichstag wurde demnächst mit Petitionen überschütte. Auch der Berliner Magistrat entsandte (am 23.April 1891) eine solche Eingabe. Darin hieß es u.a.:

 „Weil die Schaffung der Realität nicht notwendig und in ihren Konsequenzen von nicht zu übersehender Tragweite ist, und in der ferneren allgemeinen Erwägung, dass überhaupt jede Verleihung von ausschließlichen Rechten, mag man sie Monopol, Regal oder anders benennen, in letzter Linie doch nichts anderes bedeutet als die Einschränkung von Rechten aller zugunsten einzelner, und dass eine derartige Einschränkung, wenn überhaupt, doch nur äußerstenfalls und beim Vorliegen dringendster öffentlicher Interessen zugestanden werden könnte, so möchten wir den Reichstag an erster Stelle bitten, das ganze Gesetz abzulehnen. Sollte jedoch der Reichstag hierzu nicht bereit sein, so muss die Errichtung von Telegraphen= und Fernsprechanlagen für den Lokalverkehr völlig freigegeben werden, insbesondere hinsichtlich der Fernsprechanlagen, um die Verbreitung dieses Verkehrsmittels zu fördern und eine Erschwerung in der Errichtung solcher Anlagen zu verhüten. Die Befürchtung, dass nach Verleihung der Regalität die Reichsbehörden für ihre Anlagen unter Berufung auf ihre Regalität und die von ihnen durchzuführenden öffentlichen Zwecke eine bevorzugte Stellung gegenüber anderen benachbarten elektrischen Anlagen in Anspruch nehmen werden, hat in allen gewerblichen elektrotechnischen Kreisen Deutschlands Platz gegriffen und die größten Beunruhigungen hervorgerufen.“

            Mit Forderungen dieser Art und Tragweite, bei deren Erfüllung die Einheitlichkeit des deutschen Telegraphen= und Fernsprechwesens ohne weiteres aufgehoben worden wäre, stand der Magistrat in Berlin keineswegs vereinzelt da. Die Anträge der die Gesetzesvorlage bekämpfenden Interessentenkreise gingen teilweise noch viel weiter. Man verlangte, auch das Recht der Errichtung von Telegraphen= und Fernsprechanlagen vom Regal auszuschließen und das Regal überhaupt nur für den entgeltlichen Fernverkehr in elektrischen Leitungen zu gewähren. Es sollten danach der Ortsverkehr allgemein, der unentgeltliche Fernverkehr in elektrischen Leitungen sowie die akustische und die optische Telegraphie vom Regal ausgenommen werden. Die Antragsteller übersahen herbei, dass ein ausschließliches Recht des Betriebes ein ausschließliches Recht der Errichtung zur Voraussetzung hat. Auch das Postgesetz verleiht der Postverwaltung bei gewissen „Beförderung“ das Recht, sie ausschließlich auszuführen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn die Postverwaltung sich die dazu erforderlichen Verkehrsanlagen auch selbst herstellen kann. Die weiter geforderte verschiedenartige Behandlung des Orts= und des Fernverkehrs bei der Telegraphie und beim Fernsprechwesen war schon aus technischen gründen nicht durchführbar, weil die Einrichtungen für den Ortsverkehr und die Anlagen für den Fernverkehr vielfach ineinandergreifen und sich gegenseitig ergänzen. Was schließlich die akustischen und die optischen Telegraphen betraf, so erforderten auch hier das öffentliche Wohl und die Sicherheit des Vaterlandes, dass das Reich alle Telegraphen unterschiedslos in der Hand behielt. Insbesondere musste bei den optischen Anlagen, die noch dazu älter waren als die elektrischen, der Möglichkeit eines Missbrauchs an den deutschen Seeküsten unbedingt vorgebeugt werden.

            Bei dem lebhaften Widerstreite der Meinungen hatte Stephan mit der Vertretung der Gesetzesvorlage keinen leichten stand, wenn er auch schließlich aus den langen und erregten Debatten, in denen er mit bekannter Meisterschaft seinen Mann stand, als unumstrittener Sieger hervorging. Niemals war bisher einer Vorlage, die dabei nur einen bereits bestehenden, in der historischen Entwicklung der Materie begründeten Zustand gesetzlich festlegen sollte, eine solche Summe von Mißverständnissen und Entstellungen aller Art angehängt worden. Nur dadurch ließ sich, wie damals der bekannte Zentrumsabgeordnete Dr. Hamacher im Reichstage sagte, die Aufregung, die gegen dieses Gesetz herrschte, begreifen. Stephan selbst bezeichnete sie als „den bekannten Kampf gegen Windmühlen“. „Wenn ich mich“ - setze er hinzu – „inmitten einer solchen Kampfszene befinde, so habe ich mich seit langem daran gewöhnt, um die Sache ganz objektiv zu betrachten, einen Punkt außerhalb zu suchen, den Punkt des Archimedes gewissermaßen, von wo aus man den Hebel ruhiger Betrachtung anlegen kann. Und da sage ich mir denn: Wer nach 20 Jahren, vielleicht nur nach 10, möglicherweise auch schon nach 5 Jahren einmal die Verhandlungen (über die Gesetzesvorlage im Reichstage) wieder durchliest, der muss zu dem Ausspruch kommen: In curis inanibus consumitur aevum. Wir streiten uns tatsächlich in den Wolken herum. Daß das Schnellnachrichtenwesen unmittelbar unter der Macht der Regierung stehen muss, erheischen die Wohlfahrt der Nation, die gewaltigen Interessen, die sich für Handel und Verkehr daran knüpfen, sowie die Sicherheit des Vaterlandes in Friedens= und Kriegszeiten.“ Das, was die Erfahrung demnächst lehrte, hat die Richtigkeit dieses Stephanschen Grundgedankens, der von Anfang in ihm lebendig gewesen war, nur voll bestätigt.

            Die Schwierigkeiten, die sich seiner Durchführung entgegenstellten, bis sie das Telegraphengesetz vom 6. April 1892 endgültig beseitigte, gingen aber nicht lediglich vom Publikum aus. Insoweit es sich dabei um die Ausübung des Fernsprechregals handelte, entstand bald nach der Einführung des Fernsprechers in den öffentlichen deutschen Verkehr bei Stephan die ernst Besorgnis, dass die der Reichs = Postverwaltung aus dem Reichshaushalt zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen würden, um daraus die Kosten für den Ausbau des Fernsprechwesens zu bestreiten, zumal gerade bei diesem neuen Verkehrszweige mit einer lebhaft einsetzenden Entwicklung zu rechnen war, nachdem erst einmal die Öffentlichkeit seine Vorzüge allgemein erkannt hatte. Um diese Befürchtung Stephans hinreichend zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass im Jahre 1880 für die gesamte Reichs = Post und =Telegraphenverwaltung die Ausgaben des ordentlichen Halshalts noch nicht 118 Millionen Mark ausmachten. Während sie sich 10 Jahr später bereits auf 369 Millionen Mark und für das letzte Friedensjahr 1913 auf mehr als 713 Millionen Mark beliefen. Sodann aber war die Finanzlage des Reiches um 1880 wenig günstig, so dass die Bewilligung besonderer für Fernsprechzwecke angeforderter Mittel nicht nur bei den gesetzgebenden Faktoren, dem Bundesrat und Reichstage, sondern auch schon bei der Reichs = Finanzverwaltung auf nicht geringe Bedenken stoßen musste. Um dann nach Möglichkeit zu begegnen, legte Stephan unterm 27. Januar 1881 dem damaligen Reichs = Schatzsekretär Scholz ausführlich die Gründe dar, weshalb dem Gesamtinteresse der Bevölkerung und des Landes dann allein voll genügt würde, wenn das Reich die Herstellung und den Betrieb der Stadtfernsprechanlagen ausschließlich selbst in die Hand nähme. Würden die dazu erforderlichen Mittel auch im Wege außerordentlicher Kreditbewilligung nicht gewährt, so müsste, um den Bedürfnissen des Verkehrs zu genügen, zur Konzessionierung von Privatunternehmungen gestritten werden. „In diesem Falle ginge aber ein wichtiges Verkehrsmittel auf einem der Reichskompetenz angehörigen Gebiet in die Hände von Privaten, sei es von Gesellschaften oder von Einzelunternehmern, über, und es würde damit ein Zustand analog dem geschaffen werden, den man damals in Preußen durch Verstaatlichung der Eisenbahnen gerade zu beseitigen beschäftigt war.“ Diese Ausführungen wirkten auf den Staatssekretär Scholz so überzeugend, dass er, ungeachtet der Finanzlage des Reiches, sich unterm 10. Februar 1881 Stephan gegenüber bereit erklärte, auch über die bei den ordentlichen Ausgaben des Reichshaushalts verfügbaren Mittel hinaus die Bereitstellung außerordentlicher Mittel zu befürworten, um die Herstellung der Stadtfernsprechanlagen auf Kosten des Reiches durchzuführen. Mit diesem wichtigen Zugeständnis in der Tasche begab sich Stephan unverzüglich, am 12. Februar 1881, zum Reichskanzler Fürsten Bismarck, hielt ihm über den Gegenstand Vortrag und erwirkte noch am selben Tage dessen Bestimmung, dass „die Stadtfernsprechanlagen von Reichs wegen hergestellt werden sollen, Konzessionen also nicht zu erteilen sind.“

Bericht aus 40 Jahre Fernsprecher

 





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